Nur eben zwei Stunden gegenan; noch zwei volle Stunden gegenan…
von Klaus Herrmann

Auf dem Weg vom wunderschönen, verschlafen wirkenden Hafen Gager (mit einem der freundlichsten Hafenmeister des Reviers!) um Thiessower Haken, Süd- und Nordperd nach Saßnitz: Rügen rund entgegen des Uhrzeigersinns mit Zwischenziel Hiddensee.- Wir haben gute Chance auf bequemen Ostwind, müssen nur noch die Südostecke von Rügen runden, um mit raumem Wind nach Saßnitz laufen zu können. Aber vorerst geht´s auf Kreuzkurs; Südost 4-5, in Böen 6 Bft. Nur eben zwei Stunden gegenan; noch zwei volle Stunden gegenan! Es ist der zweite Segeltag und wir wissen weder wie sich das noch nicht vertraute „neue“ Boot, noch wie sich die Mannschaft auf holperigem Amwindkurs verhalten wird. Der Skipper jedenfalls ist, nach einigen vorsichtigen Minuten des Abwartens und Beobachtens, erstmals aufrichtig begeistert von den See- und Segeleigenschaften der kleinen Etap. Sie liegt ausgezeichnet in der Welle, stampft sich nicht fest, läuft unerwartete Höhe und Geschwindigkeit. Die Genua zieht das Schiff in und durch die See. Allerdings wäre auf dem Kurs gegenan die Fock eine bessere Wahl gewesen. So liegen wir doch ein wenig auf der Backe. Sollte nicht allmählich ein Reff in´s Groß gesteckt werden, die Genua ein wenig eingerollt werden? Nein, noch nicht. Der Kahn läuft doch und es sieht derzeit nicht danach aus, als würden Wind und Welle deutlich zunehmen.
PeerGynt1Ein Kreuzkurs also, der Spaß macht. Das Boot segelt trocken, legt sich in der Bö bedächtig auf die Seite, reagiert gutmütig, würde auch mehr Wind vertragen. Und unsere Freunde auf der noch kürzeren und bei Leichtwind deutlich flotteren First 21, mit denen wir gemeinsam auf Törn sind, bleiben heute achteraus. Vernünftiger Wind, ein wenig Sonne, guter Trimm, gute Stimmung, viel Zeit: Das ist Segeln!

    

Doch immer wieder der prüfende Blick zur Crew. Wie geht es Susanne, wie hält sich Fritz? Fritz ist an der Pinne beschäftigt: konzentriert hält er das Boot auf Kurs. Susanne hingegen traut der Sache noch nicht! Ein entscheidender Moment für unsere künftigen Segelabenteuer. Wird Susanne das Segeln genießen können? Wird Vertrauen aufgebaut werden können? Vertrauen in das Boot, die Crew, zu sich selbst? Ganz abgesehen einmal von den spezifischen Kommunikationsformen, die buten gelegentlich zwischen weiblichem Crewmitglied und männlichem Skipper in einer binnen auf Gleichwertigkeit bedachten Lebenspartnerschaft zu herrschen pflegen… Unser diesjähriger Ostseetörn ist ein Versuch: Können und wollen wir als Familiencrew weiterhin auf eigenem Kiel segeln oder sollte sich Vatern künftig besser auf´s Chartersegeln mit Gleichgesinnten verlegen? Eine familiendynamisch nicht uninteressante Entscheidung und ein Experiment, das entsprechender Vorbereitungen bedurfte. Nach jahrzehntelangem Jollensegeln, davon knapp fünfzehn Jahre als Dreieckssegler zwischen Garda-, Chiem- und Wannsee – und nur gelegentlich unterbrochen durch Törns auf Nord- und Ostsee - waren wir die letzten fünf Jahre als Kleinfamilie mit einem Jollenkreuzer auf den Brandenburger und Mecklenburger Gewässern unterwegs. Die längste Tour führte uns dabei über Oder und Haff, über Peenestrom und Greifswalder Bodden, über den Strelasund nach Hiddensee und retour.

PeerGynt SpiHalt die übliche Strecke in die Berliner „Vorgärten“. Und doch war es für den 15er Jolli und uns ein rechtes Abenteuer: Eher ungenügend ausgerüstet und wissend um die Möglichkeit des Kenterns, wuchsen vor allem Stettiner Haff und Greifswalder Bodden zu unerwartet großen Wassern. Schlechte Sicht, Wind (wenngleich nicht mehr als 5 Bft.) und Welle ließen schnell ein Gefühl der Unsicherheit aufkommen. Ohne Seereling, mit unhandlichen Reffeinrichtungen, dafür das Festbolzen des kurzen und flachen Rumpfes in der See in stetem Wechsel mit rasantem surfen auf der Welle und natürlich ein insgesamt nasses Segeln machten nicht nur Freude, sondern hinterließen ein gelegentlich mulmiges Gefühl und bei Susanne und Fritz zudem die Erfahrung der Seekrankheit.

Fazit von Susanne und Fritz: Nie wieder Ostsee! Fazit von Klaus: Ein anderes Schiff muss her!   Ein kleines Kielschiff. Es soll Sicherheit vermitteln, sollte trailerbar sein, muss in den kleinen Geltower Stegplatz passen, muss einen variablen Tiefgang haben und eine Jütt und eine Seetoilette und vier Kojen, eine Kochgelegenheit und …. Nun ja, segeln sollte es auch können. Unter gegebenen Bedingungen war also kein sportlicher Segler zu erwarten, aber ein treibendes Wrackteil oder ein Wohnklo unter Segeln sollte es auch nicht unbedingt sein. Ich glaube, so über zwei lange Winter und eine Sommersaison wuchs der Kriterienkatalog. Einige Boote wurden begutachtet, vor allem aber wurde die Internet-Flatrate auf der Suche nach Gebrauchtbooten strapaziert. Und schließlich sollte das Budget nicht über Gebühr beansprucht werden, denn immerhin war unklar, inwieweit die Familie das Boot überhaupt nutzen oder ob Vater künftig einhand seinem Hobby frönen würde. Irgendwann steuerte alles Denken, Träumen und Planen auf eine Etap 23i (7,35 x 2,45 x 0,70/1,45) zu: Ein kleiner Tourenkreuzer mit nicht eben eleganten Linien, dafür unsinkbar dank ausgeschäumten Raumes zwischen Innen und Außenschale, Seereling, Rollreffanlage für die Vorsegel, Einleinenreff für´s Groß, Schachtmotor, ein bisschen Elektronik. Ein Kompromiss, der sowohl dem Sicherheitsbedürfnis der Crew, wie den seglerischen Ambitionen des Skippers Rechnung zu tragen versprach.   Nun also unser erster Ostseetörn auf „Peer Gynt“. Wir alle sind gespannt wie der Versuch ausgehen wird. Gemeinsam mit einer befreundeten Familie (2 Erwachsene, 2 Kinder auf First 21) sind Susanne, Fritz und ich bei westlichen Winden (3 Bft., abnehmend) in Neuhof gestartet und gemütlich über den Greifswalder Bodden nach Gager geschippert. Am zweiten Tag nun 4 zunehmend 5 Bft. gegenan, was ja auch für ein kleines Boot ohne Probleme, wenn auch mit einiger Schaukelei verbunden, machbar ist. Die Probe auf´s Exempel. Im aktuellen arbeitsmarktpolitischen Jargon hieße es: Fordern und Fördern – will heißen: Mentale Vorbereitung auf zwei Stunden gebolze mit der Aussicht auf anschließenden flotten Raumschotkurs; die Zusicherung, gegebenenfalls auf ein bequemer zu erreichendes Ziel abzudrehen; Tabletten gegen Seekrankheit und ein für diese Verhältnisse ausreichend ausgestattetes Schiffchen.
PeerGynt2Fast kann ich sie hören, die Einwände Wannsee-erfahrener Salzbuckel: Was schreibt der Kerl denn da? Zeile um Zeile für einen kurzen Hopser über eine überschwemmte Wiese namens Ostsee? Soll sich mal nicht so anstellen, sind wir doch erst letztes Wochenende bei Bft. 7 von X nach Y etc pp… Dennoch, ich bleibe dabei: Nur eben zwei Stunden gegenan oder: noch zwei volle Stunden gegenan! Verhält es sich beim Segeln nicht ebenso, wie beim Betrachten des bekannten halbvollen bzw. halbleeren Glases? Ist nicht die Bewertung des Zustandes oder des Vorhabens Ansichtssache? Hat mit der Mentalität und der Tagesverfassung des Betrachters zu tun? Auch mit Erfahrung, mit dem Zutrauen in die eigenen und dem Vertrauen in die Fähigkeiten und Konditionen der anderen? Wie schnell kann die Stimmung an Bord, kann die eigene Verfassung umschlagen? Wie gründlich kann die Lust am Segeln vermiest werden?

    

Genug des moralisierenden Zeigefingers: Wir sind gut um Rügen herum und in herrlicher Rauschefahrt an den Seebädern Sellin und Binz vorbei in den Hafen von Saßnitz gesegelt. Für den kommenden Tag steht erneut eine Entscheidung an, rund um die Kreidefelsen nach Lohme und Glowe oder Hafentag? Angesagt sind nordwestliche Winde um 5 in Böen 6. Im geschützten Hafen von Saßnitz dagegen kein Lüftchen, die See bei ablandigem Wind spiegelglatt, herrliches Sonnen-, Sommer-, Segelwetter. Nur gelegentlich eine kurze Fallbö, die die Wanten pfeifen und die Sinne wach werden lässt. Schade eigentlich, aber meine Entscheidung steht fest: Wir laufen nicht aus. Das möchte ich uns nicht antun. Mit dem kleinen Schiffchen rund um den Königstuhl bei 5-6 Bft. von vorne plus einem eventuellen Kapeffekt: „ Nee, das muss nicht sein! Lass uns lieber einen kleinen Landausflug auf den Spuren Caspar David Friedrichs machen und uns die Segler und Ausflugsdampfer von Land aus betrachten.“ Unmut hingegen bei den Jungs von der „First“: Sie verstehen meine Überlegungen nicht recht und wollen auslaufen. Da Gott-sei-Dank jeder tun und lassen kann, was er für angesagt hält, steht dem nichts im Weg, wir können uns ja im nächsten oder übernächsten Hafen wieder treffen. Schlussendlich wurde es ein Hafen- und Wandertag für Alle. Und der Anblick von mühsam gegen weiße Wellenkämme aufkreuzende Segler vor der Stubbenkammer ließ auch das letzte Mütchen schnell abkühlen. Ergo: Familiencrews auf kleinen Kreuzern sollten eben einige Hafentage mehr als andere einplanen. Die Chance auf vergnügliches und auskömmliches Segeln ist dann durchaus gegeben!

PeerGyntKranTags darauf bei leichten Winden Kurs Lohme: Die Gase faulender Braunalgen machten den Aufenthalt jedoch unappetitlich, sodass wir nach Landgang und Picknick Kurs auf Glowe absetzten. Dort gibt´s im Hafenimbiss zwar nichts mehr zu essen, aber immerhin noch ein Bierchen von der bekannt mürrischen Kioskbetreiberin – von „Gast“-stätte wage ich hier besser nicht zu reden. Dennoch – Glowe empfiehlt sich durchaus für einen Zwischenstopp zum Baden, Wandern, Fahrradfahren. Mit leichten und drehenden Winden weiter um Kap Arkona nach Hiddensee: Spi, Blister, ausgebaumte Genua, Halb- und Amwindkurse, Motorfahrt - Flaute und 4 Bft., alles war drin. Gegen Abend einlaufen in Vitte/Langeort und nach einigem Hin und Her noch irgendwo dazwischengequetscht. Campingplatzatmosphäre im wie immer überfüllten Sportboothafen, aber immerhin: Hiddensee! Ich liebe diese Insel und wenn auch überfüllt - am weiten Strand verläuft sich´s schnell.     

Und: Der SCW Berlin ist überproportional vertreten: Die „Vendragon“ ist kurz zuvor ebenfalls eingelaufen! Gemeinsames Grillen in großer Runde bei Mücken und Grog - Erfahrungen werden ausgetauscht, Seemannsgarn gesponnen.- Tagsüber versuchen sich die Kids beim Angeln – aber offenbar ist die Ostsee tatsächlich schon überfischt… Hiddenseer Urlaubstage und ein neues Crewmitglied. Ein Freund von Fritz begleitet uns einige Tage auf der Insel und später auf Törn in die Boddengewässer Richtung Barth und Zingst. Beschauliches Segeln im Wechsel der Landschaften: Hügel, Weiden, Schilf und Wasser in stetem Wandel. Leicht gerät man ins Träumen und sollte dennoch das Mitzählen der Tonnen in der ausgebaggerten Rinne nicht gänzlich vergessen. Zurück nach Stralsund, wo wir wieder auf die „Vendragon“-Crew treffen und in die älteste Hafenkneipe (oder war´s die Zweitälteste?) der Alten Welt einkehren. Immerhin erinnere ich mich noch des guten Bieres – arg schlimm wird der Landgang also nicht gewesen sein. Am nächsten Morgen Abschied von Susanne, Fritz und Jonas – der Familientörn ist beendet, die Arbeit ruft.- Gemeinsam mit „Vendragon“ geht´s noch durch die Ziegelgrabenbrücke, dann Einhand Richtung Oder und zurück nach Berlin.   Ein erholsamer und spannender, ein gelungener Törn 2007 mit Lust auf „Meehr“. Oder - (nicht) ganz im Sinne Kaiser Wilhelm II. - :„Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser“.